Ensemble
Modern, Leitung Duncan Ward, Konzert mit Werken von Ondré
Adámek (*1979), Isabel Mundry (*1963) und Anders Hillborg (*1954) (3. Konzert
2017/18)
Ensemble Modern (Foto: Katrin Schilling) |
Eine Reise quer durch die Genres von Gesang und Instrumentation
Sie steht am Mikrofon, die Sopranistin Shigeko Hata, und mimt eine Bogenschützin: fixiert den Bogen, setzt den Pfeil, zieht ab, und surrend sucht sich das Geschoss sein imaginäres Ziel. Mit exzentrischen Bewegungen und lautmalender Stimme lässt sie das Zeremoniell hautnah miterleben, begleitet von den 13 Instrumentalisten des Ensemble Modern, das einen tonalen Teppich ausbreitet, der Stimme und Klang nicht mehr voneinander unterscheidet.
In Karakuri –
Poupée Méchanique für Stimme und Ensemble (2013) von Ondré Adámek (*1979)
geht es allerdings um den Herstellungsakt einer Puppe (die Idee kam ihm während
eines Japanaufenthaltes), und die Bewegung der Bogenschützin zu Beginn des
vierteiligen Stückes soll die Zielvorstellung einer irgendwann funktionierenden
mechanischen Puppe vorstellen. Allerdings geht doch einiges schief und die
Arbeit des Puppenschöpfers nimmt kein gutes Ende. Musikalisch, sprachlich wie
sängerisch ein Hochgenuss, witzig, komisch und originell.
Ein bisschen
japanische Roboterfigur, ein bisschen Coppélia
aus Hoffmanns Erzählungen, bot sich doch
dem Publikum eine japanische Produktionsgeschichte mit einem französischen und
tschechischen Sprachenmix von der Abfolge der einzelnen Arbeitsvorgänge im
zweiten – man fühlte sich wie in einer französischen Werkstatt, es surrte,
zischte, kratzte –, bis zur Feinstarbeit im dritten Teil. Ein tschechisches
Atelier vom Besten, schnellste Wortrepetitionen, Silbenspiele und instrumentale
Figuraturen, obsessiv, detailverliebt, aber schon das Unheil erahnend.
Im
vierten Teil dann das Desaster. Alles dreht sich, es kurbelt an der Mechanik,
aber die Rädchen halten nicht. Stimme und Instrumente amalgamieren. Wie in
einem Zeitraffer wendet sich die Geschichte rückwärts, wild, laut, schimpfend.
Wieder wird der Bogen gespannt, aber die Stimme kommt jetzt aus dem Off. Das Geschehen
hat sich verselbstständigt, die Instrumente haben das Heft in die Hand
genommen. Die Puppe ist unrettbar verloren. Ihr bleibt nur noch das Aushauchen des
Atems. Fantastisch, mit feinaustarierter Klangregie (Felix Dreher) und einer perfekten szenischen Widerspiegelung eines vermeintlich
vorindustriellen handwerklichen Prozesses.
Isabel Mundrys (*1963) Im Fall (2017) ist dagegen von einem existenziellen Kulturpessimismus
geprägt. Als Grundlage ihrer Komposition wählte sie zwei Gedichte des Lyrikers
Thomas Kling (1957-2005) Die Äußerungen
des Delphischen Orakels I und II (2002), worin der Untergang der antiken
Welt behandelt ist. Pythia hat ihre Orakelmacht verloren und kündigt ihr Ende
an. Es gibt keine Rätsel mehr, also auch keine mehr zu lösen. Mundry benutzt
diesen Mythos als Sinnbild der Moderne, die angetreten ist, alle Fragen zu
beantworten, keine Geheimnisse mehr zuzulassen. Die Folge: der kulturelle Fall.
In vier Abschnitten, unterbrochen durch zwei
Intermezzi, lässt sie die beiden Gedichte vom Ensemble Modern rezitieren. Dazu
singt die Mezzosopranistin, Allison Cook,
die sich immer wiederholende Aufforderung: „Geh erzähl!“ in der Manier einer
Wahrsagerin, endgültig, bestimmt, widerspruchslos, paraphrasiert von langgezogenen
Melismen und weitgehend perkussiver Begleitung der Instrumente. Mittendrin
übernimmt sie das Geschehen und entlässt den Dirigenten (Duncan Ward). Mit großen Bogenbewegungen der Arme und abrupten Schnitten
gibt sie musikalische Zeit vor und überlässt die Instrumentengruppen ihrem
Eigenklang. Das Ganze wirkt gespenstig, leer, manchmal hilflos (die Zeichen
werden nicht immer erkannt). Dazwischen wird ein japanisches Pachinko (eine Art
Flipper) mit Kugeln gefüllt (David
Haller), die lautstark durch die Labyrinthe fallen und schlussendlich alle
auf einmal ausgespuckt werden. Eine Metapher für Sinnentleerung, so Mundry, das
elende Warten auf den Hauptgewinn: eins zu hundert Millionen.
Der Schlussteil wirkt denn auch wie ein Abgesang auf
unsere Kultur. Mundry nimmt Texte aus Reiseberichten oder Hotelbewertungen.
Banales wie: „Als wir in Delphi ankamen, regnete es in Strömen.“ Das
Durcheinandergeplapper der Ensemblemitglieder wird überdeckt von traurigen, seufzenden
Melismen der Sängerin. Das sprichwörtliche Weinen der Pythia darüber, was heute
aus ihrem Orakel geworden ist. Sehr eindrucksvoll. Nicht alles gelang dieser
Aufführung (vor allem die Intermezzi und die Text-Rezitationen); eine gute kompositorische Absicht war
nicht immer musikalisch und inhaltlich nachvollziehbar.
Der Schwede Anders Hillborg (*1954) ist in seinem
Heimatland eher bekannt als Keyboarder verschiedener
Popbands und Filmemacher. Mit ScreamSingWhisper
(2015) bot er quasi den Obertitel für dieses Konzert, auch wenn das Stück ohne
jeglichen Gesang auskommt. Das vierteilige Werk ist ohne konkrete Absicht
entstanden, meint Hillborg in der Vorbesprechung mit Patrick Hahn. „Für mich
ist allein der Klang entscheidend.“ Außerdem lasse er sich von keinerlei Tabus
leiten. Alles sei möglich.
Auffallend allerdings seine stilistischen Entlehnungen
aus dem Modern Jazz mit langen komplexen pulsgebenden Themensetzungen: hier durch
die Viola und die Klarinette. Dann die synkopischen Fortspinnungen quer durch
die Instrumente, virtuos und improvisatorisch offen. Ein kurzer meditativer
Mittelteil wird zur Grundthematik der Viola und Klarinette zurückgeführt. Es
folgt ein Klangspektakel, basierend auf dem Grundton b (mit Ganzton- und Kadenzabweichungen),
das durch alle Instrumente geht, dissonant oder konsonant, egal, immer aber
farbig und laut. Schließlich wechselt die Struktur zur Kontrapunktik, Glissandi
abwärts, schnelle Läufe aufwärts, ein chaotisches, aber rhythmisches
Durcheinander, das sich zu einem Tuttiunisono, die Eingangsthematik aufgreifend,
zuspitzt. Viola und Klarinette (übrigens
gekonnt von Megumi Kasakawa und Jaan Bossier gespielt) beenden das
Ganze.
Eine runde Vorstellung, weniger grotesk, wie vom Komponisten behauptet,
als typisch 1980er Jahre, dabei abwechslungsreich
und vom Publikum dankbar angenommen.
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