Sonntag, 10. Dezember 2017

Ensemble Modern, Leitung Duncan Ward, Konzert mit Werken von Ondré Adámek (*1979), Isabel Mundry (*1963) und Anders Hillborg (*1954) (3. Konzert 2017/18)

Ensemble Modern (Foto: Katrin Schilling)

Eine Reise quer durch die Genres von Gesang und Instrumentation


Sie steht am Mikrofon, die Sopranistin Shigeko Hata, und mimt eine Bogenschützin: fixiert den Bogen, setzt den Pfeil, zieht ab, und surrend sucht sich das Geschoss sein imaginäres Ziel. Mit exzentrischen Bewegungen und lautmalender Stimme lässt sie das Zeremoniell hautnah miterleben, begleitet von den 13 Instrumentalisten des Ensemble Modern, das einen tonalen Teppich ausbreitet, der Stimme und  Klang nicht mehr voneinander unterscheidet.


In Karakuri – Poupée Méchanique für Stimme und Ensemble (2013) von Ondré Adámek (*1979) geht es allerdings um den Herstellungsakt einer Puppe (die Idee kam ihm während eines Japanaufenthaltes), und die Bewegung der Bogenschützin zu Beginn des vierteiligen Stückes soll die Zielvorstellung einer irgendwann funktionierenden mechanischen Puppe vorstellen. Allerdings geht doch einiges schief und die Arbeit des Puppenschöpfers nimmt kein gutes Ende. Musikalisch, sprachlich wie sängerisch ein Hochgenuss, witzig, komisch und originell. 
Ein bisschen japanische Roboterfigur, ein bisschen Coppélia aus  Hoffmanns Erzählungen, bot sich doch dem Publikum eine japanische Produktionsgeschichte mit einem französischen und tschechischen Sprachenmix von der Abfolge der einzelnen Arbeitsvorgänge im zweiten – man fühlte sich wie in einer französischen Werkstatt, es surrte, zischte, kratzte –, bis zur Feinstarbeit im dritten Teil. Ein tschechisches Atelier vom Besten, schnellste Wortrepetitionen, Silbenspiele und instrumentale Figuraturen, obsessiv, detailverliebt, aber schon das Unheil erahnend. 
Im vierten Teil dann das Desaster. Alles dreht sich, es kurbelt an der Mechanik, aber die Rädchen halten nicht. Stimme und Instrumente amalgamieren. Wie in einem Zeitraffer wendet sich die Geschichte rückwärts, wild, laut, schimpfend. Wieder wird der Bogen gespannt, aber die Stimme kommt jetzt aus dem Off. Das Geschehen hat sich verselbstständigt, die Instrumente haben das Heft in die Hand genommen. Die Puppe ist unrettbar verloren. Ihr bleibt nur noch das Aushauchen des Atems. Fantastisch, mit feinaustarierter Klangregie (Felix Dreher) und einer perfekten szenischen Widerspiegelung eines vermeintlich vorindustriellen handwerklichen Prozesses.

Isabel Mundrys (*1963) Im Fall (2017) ist dagegen von einem existenziellen Kulturpessimismus geprägt. Als Grundlage ihrer Komposition wählte sie zwei Gedichte des Lyrikers Thomas Kling (1957-2005) Die Äußerungen des Delphischen Orakels I und II (2002), worin der Untergang der antiken Welt behandelt ist. Pythia hat ihre Orakelmacht verloren und kündigt ihr Ende an. Es gibt keine Rätsel mehr, also auch keine mehr zu lösen. Mundry benutzt diesen Mythos als Sinnbild der Moderne, die angetreten ist, alle Fragen zu beantworten, keine Geheimnisse mehr zuzulassen. Die Folge: der kulturelle Fall.
In vier Abschnitten, unterbrochen durch zwei Intermezzi, lässt sie die beiden Gedichte vom Ensemble Modern rezitieren. Dazu singt die Mezzosopranistin, Allison Cook, die sich immer wiederholende Aufforderung: „Geh erzähl!“ in der Manier einer Wahrsagerin, endgültig, bestimmt, widerspruchslos, paraphrasiert von langgezogenen Melismen und weitgehend perkussiver Begleitung der Instrumente. Mittendrin übernimmt sie das Geschehen und entlässt den Dirigenten (Duncan Ward). Mit großen Bogenbewegungen der Arme und abrupten Schnitten gibt sie musikalische Zeit vor und überlässt die Instrumentengruppen ihrem Eigenklang. Das Ganze wirkt gespenstig, leer, manchmal hilflos (die Zeichen werden nicht immer erkannt). Dazwischen wird ein japanisches Pachinko (eine Art Flipper) mit Kugeln gefüllt (David Haller), die lautstark durch die Labyrinthe fallen und schlussendlich alle auf einmal ausgespuckt werden. Eine Metapher für Sinnentleerung, so Mundry, das elende Warten auf den Hauptgewinn: eins zu hundert Millionen.
Der Schlussteil wirkt denn auch wie ein Abgesang auf unsere Kultur. Mundry nimmt Texte aus Reiseberichten oder Hotelbewertungen. Banales wie: „Als wir in Delphi ankamen, regnete es in Strömen.“ Das Durcheinandergeplapper der Ensemblemitglieder wird überdeckt von traurigen, seufzenden Melismen der Sängerin. Das sprichwörtliche Weinen der Pythia darüber, was heute aus ihrem Orakel geworden ist. Sehr eindrucksvoll. Nicht alles gelang dieser Aufführung (vor allem die Intermezzi und die Text-Rezitationen); eine gute kompositorische Absicht war nicht immer musikalisch und inhaltlich nachvollziehbar.

Der Schwede Anders Hillborg (*1954) ist in seinem Heimatland eher bekannt als Keyboarder verschiedener Popbands und Filmemacher. Mit ScreamSingWhisper (2015) bot er quasi den Obertitel für dieses Konzert, auch wenn das Stück ohne jeglichen Gesang auskommt. Das vierteilige Werk ist ohne konkrete Absicht entstanden, meint Hillborg in der Vorbesprechung mit Patrick Hahn. „Für mich ist allein der Klang entscheidend.“ Außerdem lasse er sich von keinerlei Tabus leiten. Alles sei möglich.


Auffallend allerdings seine stilistischen Entlehnungen aus dem Modern Jazz mit langen komplexen pulsgebenden Themensetzungen: hier durch die Viola und die Klarinette. Dann die synkopischen Fortspinnungen quer durch die Instrumente, virtuos und improvisatorisch offen. Ein kurzer meditativer Mittelteil wird zur Grundthematik der Viola und Klarinette zurückgeführt. Es folgt ein Klangspektakel, basierend auf dem Grundton b (mit Ganzton- und Kadenzabweichungen), das durch alle Instrumente geht, dissonant oder konsonant, egal, immer aber farbig und laut. Schließlich wechselt die Struktur zur Kontrapunktik, Glissandi abwärts, schnelle Läufe aufwärts, ein chaotisches, aber rhythmisches Durcheinander, das sich zu einem Tuttiunisono, die Eingangsthematik aufgreifend, zuspitzt. Viola  und Klarinette (übrigens gekonnt von Megumi Kasakawa und Jaan Bossier gespielt) beenden das Ganze. 

Eine runde Vorstellung, weniger grotesk, wie vom Komponisten behauptet, als typisch 1980er Jahre, dabei  abwechslungsreich und vom Publikum dankbar angenommen.

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