Gábor
Boldoczki und die Prager Philharmonie, Alte Oper Frankfurt, 04.12.2017 (PRO
ARTE)
links vorne: Jan Fišer, Mitte: Gábor Boldeczki, Prager Philharmonie (Foto: PRO ARTE) |
Ein böhmischer Abend voll kulinarischer Raffinesse
Es sollte ein böhmischer Abend mit ganz eigenem Geschmack und raffinierten Menügängen werden. Fünf Komponisten aus dem 18. und 19. Jahrhundert, im damaligen Böhmen (heute Tschechien) geboren, ausgewandert ins Habsburgische Kaiserreich, unter Maria Theresia (seit 1740 Königin von Böhmen), Franz I (Kaiser seit 1745) bis zu Franz II (1792-1806 - letzter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches), nach Wien, Dresden oder Berlin, schufen eine ganz eigene Musik, wenn auch beeinflusst von musikalischen Vorbildern wie Franz Danzi, Anton Reicha, Muzio Clementi, Mozart und Beethoven.
Es sind František
Benda (1709-1786), Johann Baptist Neruda (1707-1780), Johann Nepomuk Hummel
(1778-1837), Johan Baptist Vaňhal (1739-1813) sowie Antonin Dvořak (1841-1904).
Wie auf den ersten Blick zu sehen, fällt Dvořak aus dieser Phalanx heraus,
wenngleich er der böhmischste unter den genannten Böhmen ist.
Die Prague Philharmonia (Prager
Philharmonie), 1994 gegründet, mit insgesamt 24 Instrumentalisten und einem
hinreißenden Konzertmeister, Jan Fišer,
hatte sich mit dem Trompetensolisten, Internationaler ARD-Musik- und Franz Liszt
Ehrenpreisträger, Gábor Boldoczki, zusammengetan und ein geschmackvolles Vorweihnachtsdinner mit höchst ausgewählten Beilagen ausgedacht: ein zweistündiges Bankett, das fünf Sterne verdiente.
Der Sinfonie Nr. 2 (vermutlich in den 1760
Jahren entstanden) von František Benda, ein leichtes Hors d´oeuvre, folgte das Konzert für Trompete, Streicher und Basso
Continuo Es-Dur von Johann Baptist
Georg Neruda. Ein lukullischer Ohrenschmaus mit fantastischen
Koloraturen des Solisten und Phrasierungen im Legatissimo, feinst abgestimmt
mit den Streichern. Das folgende Notturno
für Streichorchester H-Dur, op. 40 (Antonin Dvorak), uraufgeführt 1883 in
Prag, wirkte wie eine Überraschung, wie ein kleines Zwischengericht zur
Erholung des Gaumens. Ein hoch romantischer Dialog zwischen Celli, Kontrabässen
auf der einen und Violinen auf der anderen Seite. Ein schnelles Zwischenspiel
im Viervierteltakt löste sich in ein fließendes Nichts, ein zartes Klopfen der Bässe und
Streicher auf.
Mit Johann
Nepomuk Hummels Introduktion, Thema und Variationen für Oboe und Orchester f-Moll op. 102 (1823/24), bearbeitet für
Trompete und Orchester, erreichte die Menüfolge ihren ersten Höhepunkt. Mit
drei Blechen (Trompete, Bachtrompete und Flügelhorn) zeigte Boldoczki neben
seiner meisterhaften Blastechnik noch seinen geschmackvollen Variantenreichtum. Jede der sieben Variationen erhielt eine ganz eigene Note, mal leicht
verdaulich, dann wieder kalorienreich, immer aber mit exklusivem Aroma. Dazu
das durch zwei Oboen und zwei Hörnern ergänzte Ensemble: perfekt abgestimmt und
wohl vorbereitend für den zweiten Teil des Gourmet-Abends.
Die Sinfonia g-Moll (1794) von Johann Baptist Vaňhal bot dazu
das Entrée. Mit vier Sätzen, an Mozarts 25. Sinfonie (KV 183) erinnernd, wirkte
es dennoch ein wenig wie das Leipziger Allerlei, geschmacklich gut, aber
irgendwie auch profan. Ein Einstieg, der die Erwartung aufs Kommende nur steigern
konnte, was denn auch mit Zwei Walzer für
Streichorchester op. 54 (1879/80) von Antonin Dvořak durchaus gelang. Ein böhmischer
Leckerbissen mit slawischem Tanzcharakter, der immer mal wieder an eine polnische Mazurka oder an eine Wiener Heurigen Melodie denken ließ. Ein
leichter Gang, der alle Sinne noch einmal für das Dessert öffnete.
Das von
Boldoczki selbst arrangierte Konzert für
Flügelhorn und Orchester F-Dur (etwa um 1760 komponiert, ursprünglich für
Kontrabass geschrieben) von Johann Baptist Vaňhal. Hier bewiesen die Prague
Philharmonia mit ihrem vorzüglichen Konzertmeister, sowie der Solist höchstpersönlich ihre
gesamte Könnerschaft. Man sagt zwar allgemein, dass Käse den Magen schließt.
Diese Interpretation dagegen öffnete Geist und Sinne. Knackige Kadenzen
wechselten mit lyrischen Passagen. Das Finale zwischen Stakkato und Legato,
irrsinnigen Läufen und atemberaubenden Arpeggien ließ noch Platz für eine
Zugabe.
Es war ein, „Lied
von Dvorak“ (Boldoczki) für Flügelhorn und Orchester (genaue Bezeichnung: Gypsy Songs, op. 55, Nr 4: "Songs my Mother taught me"). Und was für eines. Eine
Reminiszenz an Wien, Prag, Böhmen und Heimat zugleich. Voll Seele und Innigkeit,
ein I-Tüpfelchen der kulinarischen Spitzenleistung, ein musikalischer Ohrwurm,
der immer noch nachklingt.
Herzlicher Beifall des leider nur spärlich besetzten Großen Saals der Alten Oper.
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