Dienstag, 5. Dezember 2017

Gábor Boldoczki und die Prager Philharmonie, Alte Oper Frankfurt, 04.12.2017 (PRO ARTE)

links vorne: Jan Fišer, Mitte: Gábor Boldeczki, Prager Philharmonie (Foto: PRO ARTE)


Ein böhmischer Abend voll kulinarischer Raffinesse


Es sollte ein böhmischer Abend mit ganz eigenem Geschmack und raffinierten Menügängen werden. Fünf Komponisten aus dem 18. und 19. Jahrhundert, im damaligen Böhmen (heute Tschechien) geboren, ausgewandert ins Habsburgische Kaiserreich, unter Maria Theresia (seit 1740 Königin von Böhmen), Franz I (Kaiser seit 1745) bis zu Franz II (1792-1806 - letzter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches), nach Wien, Dresden oder Berlin, schufen eine ganz eigene Musik, wenn auch beeinflusst von musikalischen Vorbildern wie Franz Danzi, Anton Reicha, Muzio Clementi, Mozart und Beethoven.


Es sind František Benda (1709-1786), Johann Baptist Neruda (1707-1780), Johann Nepomuk Hummel (1778-1837), Johan Baptist Vaňhal (1739-1813) sowie Antonin Dvořak (1841-1904). Wie auf den ersten Blick zu sehen, fällt Dvořak aus dieser Phalanx heraus, wenngleich er der böhmischste unter den genannten Böhmen ist.

Die Prague Philharmonia (Prager Philharmonie), 1994 gegründet, mit insgesamt 24 Instrumentalisten und einem hinreißenden Konzertmeister, Jan Fišer, hatte sich mit dem Trompetensolisten, Internationaler ARD-Musik- und Franz Liszt Ehrenpreisträger, Gábor Boldoczki, zusammengetan und ein geschmackvolles Vorweihnachtsdinner mit höchst ausgewählten Beilagen ausgedacht: ein zweistündiges Bankett, das fünf Sterne verdiente.

Der Sinfonie Nr. 2 (vermutlich in den 1760 Jahren entstanden) von František Benda, ein leichtes Hors d´oeuvre, folgte das Konzert für Trompete, Streicher und Basso Continuo Es-Dur von Johann Baptist Georg Neruda. Ein lukullischer Ohrenschmaus mit fantastischen Koloraturen des Solisten und Phrasierungen im Legatissimo, feinst abgestimmt mit den Streichern. Das folgende Notturno für Streichorchester H-Dur, op. 40 (Antonin Dvorak), uraufgeführt 1883 in Prag, wirkte wie eine Überraschung, wie ein kleines Zwischengericht zur Erholung des Gaumens. Ein hoch romantischer Dialog zwischen Celli, Kontrabässen auf der einen und Violinen auf der anderen Seite. Ein schnelles Zwischenspiel im Viervierteltakt löste sich in ein fließendes Nichts, ein zartes Klopfen der Bässe und Streicher auf.

Mit Johann Nepomuk  Hummels Introduktion, Thema und Variationen für Oboe und Orchester  f-Moll op. 102 (1823/24), bearbeitet für Trompete und Orchester, erreichte die Menüfolge ihren ersten Höhepunkt. Mit drei Blechen (Trompete, Bachtrompete und Flügelhorn) zeigte Boldoczki neben seiner meisterhaften Blastechnik noch seinen geschmackvollen Variantenreichtum. Jede der sieben Variationen erhielt eine ganz eigene Note, mal leicht verdaulich, dann wieder kalorienreich, immer aber mit exklusivem Aroma. Dazu das durch zwei Oboen und zwei Hörnern ergänzte Ensemble: perfekt abgestimmt und wohl vorbereitend für den zweiten Teil des Gourmet-Abends.

Die Sinfonia g-Moll (1794) von Johann Baptist Vaňhal bot dazu das Entrée. Mit vier Sätzen, an Mozarts 25. Sinfonie (KV 183) erinnernd, wirkte es dennoch ein wenig wie das Leipziger Allerlei, geschmacklich gut, aber irgendwie auch profan. Ein Einstieg, der die Erwartung aufs Kommende nur steigern konnte, was denn auch mit Zwei Walzer für Streichorchester op. 54 (1879/80) von Antonin Dvořak durchaus gelang. Ein böhmischer Leckerbissen mit slawischem Tanzcharakter, der immer mal wieder an eine polnische Mazurka oder an eine Wiener Heurigen Melodie denken ließ. Ein leichter Gang, der alle Sinne noch einmal für das Dessert öffnete.

Das von Boldoczki selbst arrangierte Konzert für Flügelhorn und Orchester F-Dur (etwa um 1760 komponiert, ursprünglich für Kontrabass geschrieben) von Johann Baptist Vaňhal. Hier bewiesen die Prague Philharmonia mit ihrem vorzüglichen Konzertmeister, sowie der Solist höchstpersönlich ihre gesamte Könnerschaft. Man sagt zwar allgemein, dass Käse den Magen schließt. Diese Interpretation dagegen öffnete Geist und Sinne. Knackige Kadenzen wechselten mit lyrischen Passagen. Das Finale zwischen Stakkato und Legato, irrsinnigen Läufen und atemberaubenden Arpeggien ließ noch Platz für eine Zugabe.

Es war ein, „Lied von Dvorak“ (Boldoczki) für Flügelhorn und Orchester (genaue Bezeichnung: Gypsy Songs, op. 55, Nr 4: "Songs my Mother taught me"). Und was für eines. Eine Reminiszenz an Wien, Prag, Böhmen und Heimat zugleich. Voll Seele und Innigkeit, ein I-Tüpfelchen der kulinarischen Spitzenleistung, ein musikalischer Ohrwurm, der immer noch nachklingt. 

Herzlicher Beifall des leider nur spärlich besetzten Großen Saals der Alten Oper.


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