Vivaldi: Recomposed, Antonio Vivaldis "Vier Jahreszeiten“ op. 8 (1725)
und Max Richters "Vivaldi: Recomposed" (2012),
Alte Oper Frankfurt, 17.12.2017 (Eine Veranstaltung von PRO ARTE)
Daniel Hope und das Ensemble l´arte del mondo (Foto: PRO ARTE) |
Vivaldi, Vivaldi … auf das Wesentliche konzentriert
Man muss schon eine Menge Mut aufbringen, um die gefühlte hunderttausendste Aufführung von Antonio Vivaldis (1678-1741) Vier Jahreszeiten, er selbst betitelte sie Il cimento dell´armonia e dell´inventione oder das Wagnis von Harmonie und Erfindung, auf die Bühne zu bringen. Daniel Hope (*1973) wagte dieses Unternehmen mit dem Ensemble l´arte del mondo, ein 2004 von Werner Ehrhardt in Leverkusen gegründetes Orchester, das sich der Tradition der Alten Musik auf historischen Instrumenten verschrieben hat. Mit der weltweit beachteten Neubetrachtung der Jahreszeiten durch den amerikanischen Komponisten Max Richter (*1966) Vivaldi: Recomposed (2012), zeigte das kleine aber feine Orchester seine innovative und avancierte Seite.
Hope führte mit Witz und Humor durch die Quattro Stagioni op. 8, schwärmte von
den weiß gekleideten Waisenmädchen, die dazumal mit ihrem Gesang die Halle der Markuskirche in Venedig in
ein prachtvolles Klanggewebe hüllten, verglich
gar den Sommer (RV 315) mit
den aktuellen Querelen der Groko-Auseinandersetzungen und machte aus dem Winter (RV 297) einen
Virtuosenspektakel, das die Venezianischen Edeldamen reihenweise in Ohnmacht
fallen ließ. Prächtig imitierte er die Naturerscheinungen, zwitscherte
gemeinsam mit den 14 Streichern im lustigen Wettstreit, ließ im Sommer den Boréas-Nordwind wüten oder im
Winter mit klirrendem Pizzicato das Eis brechen: Technisch nicht immer auf
höchsten Niveau, mitunter übermotiviert und verhuddelt, dafür äußerst dicht,
dynamisch hervorragend und mit spannungsgeladener Expressivität.
Hope kennt
Max Richter seit fünf Jahren. Er habe ihn damals gefragt, ob er ein Interesse
an der Neukomposition von Vivaldis Vier Jahreszeiten
habe. Zurückgefragt, was denn an einem so perfekten Werk neu zu komponieren
sei?, habe ihm Richter geantwortet: Er könne Vivaldis Stagioni nicht mehr auditiv wahrnehmen. Man spiele sie, ja man "dudelt" sie landauf, landab an allen möglichen und unmöglichen Orten und vergesse
dabei gänzlich den musikalischen Wert dieses einzigartigen Werks. Er wolle
deshalb eine eigene Fassung dieses Jahrhundertwerks erstellen – in memoriam
Antonio Vivaldi – und so seine Seele wiederbeleben.
Aber wie? Richter verbindet barocke Elemente wie
Ritornelle, Hirtentänze, wie Danza pastorale, repetitive, stampfende,
dissonante Staccato und virtuos-inventive Passagen aus dem Original mit
farbenreichem Minimalismus. Als Filmkomponist, ausgezeichnet mit mehreren
internationalen Preisen, versteht er es blendend, im Stile eine Steve Reich oder
Philipp Glass, Themen zu zerschneiden, mal reduziert auf Motive, mal
collagiert, wie der Scherenschnitt eines Henri Matisse, und sie mit rhythmischen
Verschiebungen und spannenden Loops zu ergänzen. Die Struktur des Gesamtwerks
beibehaltend ergänzt er lediglich an vier Stellen ein Dolce, ein Larghetto, ein
Calmo oder auch ein Allegro, ohne wirklich in die musikalische
Form des Originals einzugreifen. Verfremdet durch elektronische Verstärkung der
Instrumente mit subtiler Hallerzeugung, ergänzt durch eine Harfe, modernisiert durch synkopische Betonungen
und rockähnliche Beats, insgesamt mit einem langsameren Tempo als im Original,
dafür aber ausdruckstärker im Detail, bietet diese Bearbeitung einen 'Vivaldi'
auf das Wesentliche konzentriert.
Oftmals enden die Abschnitte im Nichts (Calmo in Winter), brechen abrupt ab (Allegro
in Frühling oder Presto in Sommer) oder
klingen einfach aus (Adagio in Sommer). Mal beleben Jazz- oder Poprhythmen,
mal ergänzen nachdenklicher Choral oder Cantus firmus (Sommer) die Jahreszeiten. Immer aber arbeitet Richter am ursprünglichen
Material entlang. Der Wiedererkennungsfaktor liegt bei hundert Prozent, wobei
jedoch der Qualitätsfaktor viele Fragen offen lässt, denn vieles klingt doch
sehr gefällig, an manchen Stellen gar wie ein Plagiat aus Steve Reichs Music für 18 Musicians (Allegro in Herbst), oder Disco-verpoppt (Presto
in Sommer). Richter zeigte durchaus
seine Fähigkeiten als Filmkomponist, ob er die Seele von Vivaldis Quattro Stagioni wiederbelebt hat, muss allerdings
bezweifelt werden.
Daniel Hope und l’arte
del mondo machten eine durchaus gute Figur, wenngleich die Elektronik viele
kleine technische Ungereimtheiten austarierte. Das Publikum tobte vor Begeisterung
und forderte eine Zugabe. Das Finale
des Doppelkonzerts a-Moll (RV 522) von
Antonio Vivaldi hob noch einmal die Ausnahmestellung der Ersten Geigerin (Andrea Keller) hervor. Auch bewies das Ensemble l´arte
del mondo mit Danny Boy von James Galway und Johannes Brahms Guten Abend, gute Nacht -Variation seine Vielseitigkeit und seine exorbitante Musikalität.
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