Dienstag, 23. Januar 2018

In Vain (2000), eine Nachtmusik für 24 Instrumente von Georg Friedrich Haas (*1953), Union Halle Frankfurt, 22.01.2018

Jonathan Stockhammer (Dirigent) und das Ensemble Modern (Foto: Walter Vorjohann)

Der Nachtmusik ausgeliefert

Georg Friedrich Haas (*1953) liebt die dunkle Musik und gebraucht dazu die vollständige Dunkelheit, weil nur sie die Menschen wirklich erreiche, „und das gelingt im Dunkeln intensiver und stärker. Das Hören wird bewusster, die Hörer fühlen sich dem Klang viel mehr ausgeliefert.“ (Haas) Bereits in seinen Opern Nacht (1996/98) und Koma (2016, sie hatte im Juni 2016 Premiere im Staatstheater Darmstadt) verwendet er diesen Kunstgriff, aber bei In Vain (zu Deutsch: vergebens) in besonders intensiver und extensiver Weise. Von den insgesamt 70 Minuten wird der vollbesetzte Saal der Union Halle mal sechs, dann wieder zwanzig Minuten lang in völlige Dunkelheit versetzt, eine, die gnadenlos den Hörer auf sich selbst zurückfallen lässt. Es gibt weder Halt noch Orientierung, nur noch die Unmittelbarkeit der Klänge und die begleitenden Gedanken, gute wie schlechte.

Alles beginnt mit in die Tiefe stürzenden Skalenläufe, ein gefühltes Fallen ins Leere. Vierundzwanzig Instrumentalisten des Ensemble Modern versetzen den Raum in einen bedrohlichen Schwebezustand. Die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen, das regellose Nebeneinander der chromatischen Läufe  schaffen einen Zustand des Chaos. Die kleine Welt der Union Halle wird zum Mittelpunkt der Entstehung des Kosmos. Man ist an das Bibelwort aus dem erstem Buch Moses erinnert: „Am Anfang war das Chaos, die Erde aber war wüst und leer, Finsternis lag über der Urflut …“.

Die erste Dunkelphase, nach ca. sieben Minuten, wirkt zunächst wie ein Innehalten. Ein Wechsel zu Akkorden, bei allerdings gleichem musikalischem Material, lässt die Zeit stillstehen. Obertonreihen bis zum mikrotonalen Bereich, von den Bläsern quasi in Zeitlupe ausgeformt, lassen die absolute Schwärze des Raumes mit wundersamen Klangfarben bis hin zu visuellen Klangfigurationen ausfüllen. Die fast unmerklich einsetzende Helle nach einer Viertelstunde, eingeleitet durch einen sphärischen Harfengesang, lässt nicht etwa Licht von der Nacht trennen, wie im Bibeltext, sondern eher alle Bereiche der Klangfarben bei Licht gesehen ausloten. Wie Alphörner fungieren die Blechbläser. Immer wieder rufen sie in die Tiefe der Bergtäler und über die Gipfel, begleitet vom Wabern und Flattern der Streicher und dem Grummeln und Zischen der Perkussionisten. Alles steigert sich, bis das Tamtam zum Rückzug bläst. In einem Krebsgang geht es wieder zurück. Zum Ursprung? Keineswegs. Selbst wenn die Alphörner scheinbar alles vorher Gerufene zurücknehmen wollen. Denn abermals setzt die vollständige Dunkelheit ein.

Impulsgebende Blitze durchbrechen ein infernalisches Akkordgewitter, akzelerierend und retardierend, im Pianissimo und dreifach Forte, fließend und abgehackt. Die Dunkelheit wird bedrohlich, sie erweist sich als bodenlose Enge, ein grenzenloser Kosmos wird zu Atomen reduziert. Lediglich die Blitze, siebenundzwanzig an der Zahl, lassen Räumlichkeit erahnen und schrecken, fast befreiend auf. Das Finale ist bei Licht besehen eine Reminiszenz an den Anfang. Nur ist das Chaos jetzt scheinbar geordnet. In fast aggressiven Abwärtsskalen wird die Bodenlosigkeit infrage gestellt. Das eingangs gefühlte Fallen ins Unendliche wirkt jetzt wie ein Zirkelschluss, aber ohne Ergebnis. Man ist vorwärts gekommen, aber die Erde ist immer noch wüst und leer … vergebens. Insofern gibt es keinen Schlussakkord, sondern nur einen Abbruch, mittendrin im Geschehen.



Georg Friedrich Haas (Foto: London Sinfonietta, 2013)

Georg Friedrich Haas´ Musik ist ein Ritt auf der Klinge des Spektralismus mit Bezug auf traditionelle Idioms der österreichischen Folklore. Er ist kein Analytiker des Klangs, dafür aber einer mit höchst sensibler Klang-Wahrnehmung und Klang-Gestaltung. Sein aufklärerischer Grundgedanke liegt in dem Wunsch, die Ohren seiner Hörer zu intensivieren und zu verfeinern. Im Ensemble Modern, dem Lichtakrobaten Matthias Rieker und ihrem kongenialen Dirigenten Jonathan Stockhammer hat er ein Team gefunden, das seinen musikalischen Impetus auf ganzer Linie realisierte. Wie sagte doch Stockhammer im Vorgespräch mit dem Leiter des Projekts, Christoph Dennerlein: „Ich freue mich sehr, dieses Stück mit Ihnen teilen zu dürfen: in seinen Intentionen und Emotionen.“ Womit er durchaus recht behielt. Allein der langanhaltende Beifall, sechsmal musste er zurück auf die Bühne, sprach dafür.

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