In Vain (2000), eine Nachtmusik für 24 Instrumente von Georg Friedrich Haas (*1953),
Union Halle Frankfurt, 22.01.2018
Der Nachtmusik ausgeliefert
Georg Friedrich Haas (*1953) liebt die dunkle Musik und gebraucht dazu die vollständige Dunkelheit, weil nur sie die Menschen wirklich erreiche, „und das gelingt im Dunkeln intensiver und stärker. Das Hören wird bewusster, die Hörer fühlen sich dem Klang viel mehr ausgeliefert.“ (Haas) Bereits in seinen Opern Nacht (1996/98) und Koma (2016, sie hatte im Juni 2016 Premiere im Staatstheater Darmstadt) verwendet er diesen Kunstgriff, aber bei In Vain (zu Deutsch: vergebens) in besonders intensiver und extensiver Weise. Von den insgesamt 70 Minuten wird der vollbesetzte Saal der Union Halle mal sechs, dann wieder zwanzig Minuten lang in völlige Dunkelheit versetzt, eine, die gnadenlos den Hörer auf sich selbst zurückfallen lässt. Es gibt weder Halt noch Orientierung, nur noch die Unmittelbarkeit der Klänge und die begleitenden Gedanken, gute wie schlechte.
Alles
beginnt mit in die Tiefe stürzenden Skalenläufe, ein gefühltes Fallen ins
Leere. Vierundzwanzig Instrumentalisten des Ensemble Modern versetzen den Raum
in einen bedrohlichen Schwebezustand. Die Ungleichzeitigkeit des
Gleichzeitigen, das regellose Nebeneinander der chromatischen Läufe schaffen einen Zustand des Chaos. Die kleine
Welt der Union Halle wird zum Mittelpunkt der Entstehung des Kosmos. Man ist an
das Bibelwort aus dem erstem Buch Moses erinnert: „Am Anfang war das Chaos, die
Erde aber war wüst und leer, Finsternis
lag über der Urflut …“.
Die erste Dunkelphase,
nach ca. sieben Minuten, wirkt zunächst wie ein Innehalten. Ein Wechsel zu
Akkorden, bei allerdings gleichem musikalischem Material, lässt die Zeit
stillstehen. Obertonreihen bis zum mikrotonalen Bereich, von den Bläsern quasi
in Zeitlupe ausgeformt, lassen die absolute Schwärze des Raumes mit wundersamen
Klangfarben bis hin zu visuellen Klangfigurationen ausfüllen. Die fast
unmerklich einsetzende Helle nach einer Viertelstunde, eingeleitet durch einen
sphärischen Harfengesang, lässt nicht etwa Licht von der Nacht trennen, wie im
Bibeltext, sondern eher alle Bereiche der Klangfarben bei Licht gesehen
ausloten. Wie Alphörner fungieren die Blechbläser. Immer wieder rufen sie in
die Tiefe der Bergtäler und über die Gipfel, begleitet vom Wabern und
Flattern der Streicher und dem Grummeln und Zischen der Perkussionisten. Alles
steigert sich, bis das Tamtam zum Rückzug bläst. In einem Krebsgang geht es
wieder zurück. Zum Ursprung? Keineswegs. Selbst wenn die Alphörner scheinbar
alles vorher Gerufene zurücknehmen wollen. Denn abermals setzt die vollständige
Dunkelheit ein.
Impulsgebende
Blitze durchbrechen ein infernalisches Akkordgewitter, akzelerierend und
retardierend, im Pianissimo und dreifach Forte, fließend und abgehackt. Die
Dunkelheit wird bedrohlich, sie erweist sich als bodenlose Enge, ein
grenzenloser Kosmos wird zu Atomen reduziert. Lediglich die Blitze,
siebenundzwanzig an der Zahl, lassen Räumlichkeit erahnen und schrecken, fast befreiend auf. Das Finale ist bei Licht besehen eine Reminiszenz
an den Anfang. Nur ist das Chaos jetzt scheinbar geordnet. In fast aggressiven
Abwärtsskalen wird die Bodenlosigkeit infrage gestellt. Das eingangs gefühlte
Fallen ins Unendliche wirkt jetzt wie ein Zirkelschluss, aber ohne Ergebnis. Man
ist vorwärts gekommen, aber die Erde ist immer noch wüst und leer … vergebens.
Insofern gibt es keinen Schlussakkord, sondern nur einen Abbruch, mittendrin im
Geschehen.
Georg Friedrich Haas (Foto: London Sinfonietta, 2013) |
Georg
Friedrich Haas´ Musik ist ein Ritt auf der Klinge des Spektralismus mit Bezug
auf traditionelle Idioms der österreichischen Folklore. Er ist kein Analytiker
des Klangs, dafür aber einer mit höchst sensibler Klang-Wahrnehmung und
Klang-Gestaltung. Sein aufklärerischer Grundgedanke liegt in dem Wunsch, die
Ohren seiner Hörer zu intensivieren und zu verfeinern. Im Ensemble Modern, dem Lichtakrobaten Matthias Rieker und ihrem kongenialen
Dirigenten Jonathan Stockhammer hat
er ein Team gefunden, das seinen musikalischen Impetus auf ganzer Linie
realisierte. Wie sagte doch Stockhammer im Vorgespräch mit dem Leiter des Projekts, Christoph Dennerlein: „Ich freue mich sehr, dieses Stück mit Ihnen
teilen zu dürfen: in seinen Intentionen und Emotionen.“ Womit er durchaus recht
behielt. Allein der langanhaltende Beifall, sechsmal musste er zurück auf
die Bühne, sprach dafür.
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