Alexander
Melnikov (Klavier) und Teodor
Currentzis mit MusicAeterna im
Großen Saal der Alten Oper Frankfurt, 14.04.2018 (Eine Veranstaltung von PRO
ARTE Frankfurt)
Teodor Currentzis und das Orchester musicAeterna (Fotos: PRO ARTE Frankfurt) |
Ein Derwisch und ein Intellektueller rocken die Bühne
Es beginnt mit dem 3. Klavierkonzert c-Moll op. 37 (1803) von Ludwig van Beethoven (1770-1827). Ein mittelgroßes Orchester wartet auf die beiden Stars des Abends: Alexander Melnikov (*1973) am Hammerklavier und Teodor Currentzis (*1973), der musikalische Leiter des im Jahre 2004 von ihm gegründeten Orchesters, das unter dem Namen musicAeterna innerhalb weniger Jahre zu Weltruhm gelangt ist. Die Charaktere könnten kaum unterschiedlicher sein. Melnikov, introvertiert, hoch konzentriert auf sein Instrument fokussiert, Currentzis dagegen, extrovertiert, sein innerstes Wesen kompromisslos nach außen gekehrt. Er tanzt, er springt, er lebt die Musik mit all seinen Muskelfasern und Sinnen.
Das 3.
Klavierkonzert ist das einzige von ihm in Moll geschriebene Klavierkonzert und gilt bereits, den technischen Fortschritten im Klavierbau geschuldet,
als Übergang zur sinfonischen Ausgestaltung des Solokonzerts. Das heißt: Heraus
aus dem Salon und hinein in den großen Konzertsaal mit entsprechendem Orchester
und einem Klavier, das dem heutigen Konzertflügel fast schon ähnelte.
Currentzis und Melnikov versuchten die Wende zum 19.
Jahrhundert zu rekonstruieren. Mit einem Orchester von ca. 50 Musikern mit
überwiegend historischen Instrumenten wie Gamben, Viola D´amore sowie Violinen
und Bratschen mit Darm- statt Stahlsaiten, Block- und Traversflöten,
Flügelhörner und Naturhörner, war, in Verbindung mit dem Hammerflügel aus dem
Jahre 1812, eine einzigartige Klangfarbe von Anfang an quasi naturgegeben.
Bereits der Kopfsatz, das Allegro con brio, durchbrach die Hörgewohnheiten des 21.
Jahrhunderts. Ein Hammerflügel, noch zwischen Cembalo und Klavier changierend,
wurde bereits bis an seine technischen Grenzen ausgereizt. Perlend, mitunter
zerbrechlich wirkten die solistischen Passagen, und Melnikov hatte Einiges zu
tun, das Instrument nicht zu überfordern. Dagegen zeigten die Musiker große
Freude und begleiteten die exzentrische Tanzperformance ihres Leiters mit
Hingabe und taktgenauen Akzentuierungen. Neben wunderbarer Lyrik, langen
melodischen Phrasenbildungen und endlosen Fermaten im Largo stand die überbordende Gestik des Dirigenten, die sich im abschließenden
Rondo durch stampfende Sprünge bis zu
derwischhaften Bewegungen steigerte. Nicht immer der Musik förderlich, dafür
aber äußerst effektvoll. Wer war nun der Solist, fragte man sich, wobei
unbedingt Currentzis auf das Siegertreppchen stieg. Dabei sei hervorgehoben,
dass Melnikov dieses filigrane Instrument großartig, mit tiefem intellektuellem
Verständnis meisterte, wenngleich das Instrument nicht immer so wollte wie er.
Alexander Melnikov |
Die Ouvertüre aus Le Nozze di Figaro (1786) von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
sollte denn auch den Ruf des Nonkonformisten, Radikalen der klassischen Musik,
Exzentriker und Querkopf, wie Currentzis in der internationalen Presse vielfach
genannt wird, Realität werden lassen.
Ein riesiges Orchester mit fast einhundert Instrumentalisten
auf historischen Instrumenten stand auf der Bühne, dazwischen der Zaubermeister
höchstpersönlich, der ein Feuerwerk im Prestissimo anstimmte, das neben
extremen Akzentuierungen, kontrastreicher Dynamik, hanebüchen schnellen
Passagen, turbulenten Wechseln von weichen Rhythmen zu knallharten Beats
weitestgehend Mozart vergessen ließ. Eine Show, die dem Publikum gefiel. Man johlte
und war völlig aus dem Häuschen. Ob es der Musik dienlich war, sei dahingestellt.
Beethoven 7.
Sinfonie op. 92 (1813) geriet allerdings zum Highlight dieses Sturm-und-Drang-Abends.
Sie fällt in die Niederlage Napoleons im Russlandfeldzug und die darauf folgenden Befreiungskriege sowie in die Zeit, in der
Beethovens Taubheit nahezu vollständig zu werden drohte. Nichtsdestotrotz
gehört diese Sinfonie zu seinen lebendigsten, ja tänzerischsten. Sie sei eine „Orgie
des Rhythmus“, meinte einstmals der Musikkritiker Romain Rolland (1866-1944)
und Robert Wagner (1813-1883) nannte sie lapidar ein „Apotheose des Tanzes“.
All das setzte Currentzis, man möchte fast sagen, in
brutaler Klarheit in Szene. Große, tänzerische Gestik herrschte auch im
Orchester, das, abgesehen von den Bässen und Bläsern, ohne Ausnahme stand. Von
großer Lebendigkeit im ersten Satz über einen schreitenden Marsch Funebre im Allegretto, im Wechsel mit wunderbar
lyrischen Zwischenspielen im Charakter eines Streichquartetts, zu einem
kontrastierenden Scherzo (Presto) in
ABABA Form: Hier geriet Beethovens Musik majestätisch, verzweifelt und verführerisch
zugleich. Extrem an den Rändern, voller Impulsivität, immer aber kontrolliert
und ohne Ausraster.
Den wiederum gab es im Schlusssatz, ein Allegro con brio, das unter den Händen Currentzis´
zwischen Irrenhaus (Carl Maria von Weber) und Appell zur Völkerbefreiung (Bettina
von Arnim) changierte. Wie in einem Tollhaus agierten Musiker und Dirigent, die
Bühne bebte und es hätte nicht viel gefehlt, wenn sich das Publikum im voll
besetzten Großen Saal aufgemacht hätte, die Bühne zu stürmen.
Der stehende Beifall wollte kein Ende nehmen. Dennoch
darf die Frage gestattet sein, ob Currentzis, der eigenen Aussagen zufolge seine Arbeitsstätte im
weit entfernten russischen Perm als „eine Art musikalisches Kloster“
betrachtet, „wo wir jenseits der zynischen Mauern des Kulturbetriebs einfach
Schönheit erschaffen“, tatsächlich die klassische Musikwelt aufmischt und den Globus
damit verändern wird. Ihm gebührt zweifellos großer Respekt, aber Vieles ist
doch sehr auf Show und Eigendarstellung gebürstet. Das mag gefallen, wird aber
dem Wesen der Musik, ihrem Erkenntnisgehalt im wahrsten Sinne nicht auf die Sprünge
helfen.
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