Sonntag, 15. April 2018


Alexander Melnikov (Klavier) und Teodor Currentzis mit MusicAeterna im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt, 14.04.2018 (Eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)


Teodor Currentzis und das Orchester musicAeterna (Fotos: PRO ARTE Frankfurt)

Ein Derwisch und ein Intellektueller rocken die Bühne


Es beginnt mit dem 3. Klavierkonzert c-Moll op. 37 (1803) von Ludwig van Beethoven (1770-1827). Ein mittelgroßes Orchester wartet auf die beiden Stars des Abends: Alexander Melnikov (*1973) am Hammerklavier und Teodor Currentzis (*1973), der musikalische Leiter des im Jahre 2004 von ihm gegründeten Orchesters, das unter dem Namen musicAeterna innerhalb weniger Jahre zu Weltruhm gelangt ist. Die Charaktere könnten kaum unterschiedlicher sein. Melnikov, introvertiert, hoch konzentriert auf sein Instrument fokussiert, Currentzis dagegen, extrovertiert, sein innerstes Wesen kompromisslos nach außen gekehrt. Er tanzt, er springt, er lebt die Musik mit all seinen Muskelfasern und Sinnen.


Das 3. Klavierkonzert ist das einzige von ihm in Moll geschriebene Klavierkonzert und gilt bereits, den technischen Fortschritten im Klavierbau geschuldet, als Übergang zur sinfonischen Ausgestaltung des Solokonzerts. Das heißt: Heraus aus dem Salon und hinein in den großen Konzertsaal mit entsprechendem Orchester und einem Klavier, das dem heutigen Konzertflügel fast schon ähnelte.

Currentzis und Melnikov versuchten die Wende zum 19. Jahrhundert zu rekonstruieren. Mit einem Orchester von ca. 50 Musikern mit überwiegend historischen Instrumenten wie Gamben, Viola D´amore sowie Violinen und Bratschen mit Darm- statt Stahlsaiten, Block- und Traversflöten, Flügelhörner und Naturhörner, war, in Verbindung mit dem Hammerflügel aus dem Jahre 1812, eine einzigartige Klangfarbe von Anfang an quasi naturgegeben.

Bereits der Kopfsatz, das Allegro con brio, durchbrach die Hörgewohnheiten des 21. Jahrhunderts. Ein Hammerflügel, noch zwischen Cembalo und Klavier changierend, wurde bereits bis an seine technischen Grenzen ausgereizt. Perlend, mitunter zerbrechlich wirkten die solistischen Passagen, und Melnikov hatte Einiges zu tun, das Instrument nicht zu überfordern. Dagegen zeigten die Musiker große Freude und begleiteten die exzentrische Tanzperformance ihres Leiters mit Hingabe und taktgenauen Akzentuierungen. Neben wunderbarer Lyrik, langen melodischen Phrasenbildungen und endlosen Fermaten im Largo stand die überbordende Gestik des Dirigenten, die sich im abschließenden Rondo durch stampfende Sprünge bis zu derwischhaften Bewegungen steigerte. Nicht immer der Musik förderlich, dafür aber äußerst effektvoll. Wer war nun der Solist, fragte man sich, wobei unbedingt Currentzis auf das Siegertreppchen stieg. Dabei sei hervorgehoben, dass Melnikov dieses filigrane Instrument großartig, mit tiefem intellektuellem Verständnis meisterte, wenngleich das Instrument nicht immer so wollte wie er.

Alexander Melnikov


Die Ouvertüre aus Le Nozze di Figaro (1786) von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) sollte denn auch den Ruf des Nonkonformisten, Radikalen der klassischen Musik, Exzentriker und Querkopf, wie Currentzis in der internationalen Presse vielfach genannt wird, Realität werden lassen.
Ein riesiges Orchester mit fast einhundert Instrumentalisten auf historischen Instrumenten stand auf der Bühne, dazwischen der Zaubermeister höchstpersönlich, der ein Feuerwerk im Prestissimo anstimmte, das neben extremen Akzentuierungen, kontrastreicher Dynamik, hanebüchen schnellen Passagen, turbulenten Wechseln von weichen Rhythmen zu knallharten Beats weitestgehend Mozart vergessen ließ. Eine Show, die dem Publikum gefiel. Man johlte und war völlig aus dem Häuschen. Ob es der Musik dienlich war, sei dahingestellt.

Beethoven 7. Sinfonie op. 92 (1813) geriet allerdings zum Highlight dieses Sturm-und-Drang-Abends. Sie fällt in die Niederlage Napoleons im Russlandfeldzug und die darauf folgenden  Befreiungskriege sowie in die Zeit, in der Beethovens Taubheit nahezu vollständig zu werden drohte. Nichtsdestotrotz gehört diese Sinfonie zu seinen lebendigsten, ja tänzerischsten. Sie sei eine „Orgie des Rhythmus“, meinte einstmals der Musikkritiker Romain Rolland (1866-1944) und Robert Wagner (1813-1883) nannte sie lapidar ein „Apotheose des Tanzes“.

All das setzte Currentzis, man möchte fast sagen, in brutaler Klarheit in Szene. Große, tänzerische Gestik herrschte auch im Orchester, das, abgesehen von den Bässen und Bläsern, ohne Ausnahme stand. Von großer Lebendigkeit im ersten Satz über einen schreitenden Marsch Funebre im Allegretto, im Wechsel mit wunderbar lyrischen Zwischenspielen im Charakter eines Streichquartetts, zu einem kontrastierenden Scherzo (Presto) in ABABA Form: Hier geriet Beethovens Musik majestätisch, verzweifelt und verführerisch zugleich. Extrem an den Rändern, voller Impulsivität, immer aber kontrolliert und ohne Ausraster.
Den wiederum gab es im Schlusssatz, ein Allegro con brio, das unter den Händen Currentzis´ zwischen Irrenhaus (Carl Maria von Weber) und Appell zur Völkerbefreiung (Bettina von Arnim) changierte. Wie in einem Tollhaus agierten Musiker und Dirigent, die Bühne bebte und es hätte nicht viel gefehlt, wenn sich das Publikum im voll besetzten Großen Saal aufgemacht hätte, die Bühne zu stürmen.

Der stehende Beifall wollte kein Ende nehmen. Dennoch darf die Frage gestattet sein, ob Currentzis, der eigenen Aussagen zufolge seine Arbeitsstätte im weit entfernten russischen Perm als „eine Art musikalisches Kloster“ betrachtet, „wo wir jenseits der zynischen Mauern des Kulturbetriebs einfach Schönheit erschaffen“, tatsächlich die klassische Musikwelt aufmischt und den Globus damit verändern wird. Ihm gebührt zweifellos großer Respekt, aber Vieles ist doch sehr auf Show und Eigendarstellung gebürstet. Das mag gefallen, wird aber dem Wesen der Musik, ihrem Erkenntnisgehalt im wahrsten Sinne nicht auf die Sprünge helfen.

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