Montag, 23. April 2018


Connect – Das Publikum als Künstler, Frankfurt LAB, 22.04.2018

Szene aus Orango von Oscar Bianchi (Fotos: Walter Vorjohann)

Kann Publikum Künstler sein?


Das Publikum als aktiver Teil des Geschehens auf der Bühne: Das ist die Idee dieses zum zweiten Mal stattfindenden Projekts der Art Mentor Foundation Lucerne in Kooperation mit vier führenden Ensembles zeitgenössischer Musik (Ensemble Modern, London Sinfonietta, Asko/Schönberg und Remix Ensemble). Zwei Kompositionsaufträge an Oscar Bianchi (*1975) und Philip Venables (*1979) sollten diesen Anspruch einlösen und das Verhältnis zwischen Publikum und Künstler, zwischen Musikern und Laien ausloten und nahezu zeitgleich an verschiedenen europäischen Orten wie in Amsterdam (Muziekgebouw Amsterdam) und Porto (Casa da Musica) getestet werden.


Große Spannung und prickelnde Erwartungshaltung herrschen im großen Saal des Frankfurt LAB. Das Licht wird gedimmt. Eine Trommel wird auf die Bühne gerollt. Rainer Römer, der Percussionist des Ensemble Modern, wirft einen kleinen Steiftier-Bär zu einer Frau ins Publikum und bittet sie stumm, aber mit gekonnt eleganten Bewegungen auf die Bühne, beginnt zunächst einen Dialog mit Quitscheentchen, der dann auf der Trommel fortgeführt wird. Witzig, animierend. Ein gelungener Einstieg in die Uraufführung von Oscar Bianchis Orango für Ensemble und Publikum, ein 35-minütiges Klang und Geräuscherlebnis mit vierzehn Instrumentalisten, etwa zwanzig Laienteilnehmern und dem höchst motivierten Publikum. Wechsel von Urlauten, Brustklopfen, Rufen, Singsang, ein Ha-Ha und Ho-Ho, Klirren, Zischen und Schmatzen. Dazu Pfeifen auf Kopfstücken von Blockflöten, Surren von kleinen Hausteufelchen, Brummen mit Gummi Lollypops auf Holz und Bespannung. Alltagsgegenstände als Musik und Klangerzeuger. Abwechslungsreich mit Aufforderungscharakter.

Perfekt die Animation des musikalischen Leiters, Jonathan Stockhammer, der aus dem scheinbar chaotischen kollektiven Spiel ein spannungsgeladenes Miteinander und Gegeneinander erzeugte, das allen im Saal größten Spaß bereitete. Connect als lebendige Erfahrung zwischen Publikum und Musikern, zwischen Professionalität und Spontaneität, zwischen Künstler und Laien.


Sprechchor aus The Gender Agenda von Philip Venables

Game-Show mit Anti Sex Spray (ASS)


Mit der TV-Show The Gender Agenda für Spielshow-Moderator, Sprechchor und Publikum (Deutsche Erstaufführung) versuchte Philip Venables,  im Stile einer Talk- und Musikshow, einen publikumsgefälligen Beitrag zu diesem Projekt zu leisten. Weitestgehend in Workshops vorbereitet führte die leicht übermotivierte Gayle Tufts durch das fast einstündige brisante Stück zum Thema Gender, Sex und Geschlecht. Sechs SpielerInnen und ein Punktezähler aus dem Publikum waren der einzige Connect, das angestrebte Mitmachen reduzierte sich eher auf sein Minimum. Bereits das Werfen von blauen und pinken Plüschkätzchen ins Publikum als Teilnahme-Animation erwies sich als endloser Akt. Keiner wollte sich so recht auf das Spiel einlassen. Gayle Tufts wiederum riss sich die Arme aus, geriet zur Alleinunterhalterin bis zur peinlichen Grenze. Dazwischen Musik aus der amerikanischen Musical- und Jazz-Retorte mit Tschaikowski (b-Moll Klavierkonzert) und Beethoven (5. Sinfonie) Einsprengseln, immer aber leicht und flockig. Was halteben von einer Show erwartet wird.

Ein politisches Thema mit News Flasher auf Video eingeblendet ("326 Morde weltweit im Jahre 2017 an Gender People", oder Werbung für "Anti Sex Spray, ASS"), Game-Malereien („Gender Render“) von den Teilnehmern, Verkleidungen (natürlich Gender-Figuren – was immer das auch ist), Slut-Shaming (etwa: Schlampen-Scham), Penalty Box (Männer sind Jäger, Frauen natürlich Sammler), Herrklärungen (statt Erklärungen), viel Gender-Fluid und Toxic-Masculinity
Ein chaotisches Spiel, eine mitunter ratlose Moderatorin (sie konnte einem leidtun), sehr bemühte Teilnehmer, ein Chor, der alles gab und ein Ensemble Modern, das auch die Revue- und Swingmusik beherrschte. Sehr platt das Final-Thought (gesprochen von der Moderatorin): „Wir alle sind Teamplayer“, „Fairplay“ und „Passt auf euch auf!“ begleitet von Streichmusik im Stile eines traurigen Abgesangs.

Persiflage oder nicht. Das Stück ist alles andere als ein Beitrag zum Projekt Connect. Hier wurde das Publikum zur Staffage einer Show, zum Verbrauch eines profitlichen Genres, zum Konsumenten eines Markenartikels, wozu sich die Gender Problematik wohl kaum eignete. Viel politisch Brisantes überschritt hier eher die Schamschwelle und nicht Wenige im Publikum fühlten sich verhohnepipelt.

Kann das Publikum Künstler sein? Nein, es kann nicht. Aber es kann in den künstlerischen Prozess einbezogen werden, was im ersten Stück, Orango von Oscar Bianchi glänzend, im zweiten The Gender Agenda von Philip Venables eher gar nicht, oder lediglich in seiner Negation funktionierte.


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