Connect
– Das Publikum als Künstler, Frankfurt LAB, 22.04.2018
Szene aus Orango von Oscar Bianchi (Fotos: Walter Vorjohann) |
Kann Publikum Künstler sein?
Das Publikum als aktiver Teil des Geschehens auf der Bühne: Das ist die Idee dieses zum zweiten Mal stattfindenden Projekts der Art Mentor Foundation Lucerne in Kooperation mit vier führenden Ensembles zeitgenössischer Musik (Ensemble Modern, London Sinfonietta, Asko/Schönberg und Remix Ensemble). Zwei Kompositionsaufträge an Oscar Bianchi (*1975) und Philip Venables (*1979) sollten diesen Anspruch einlösen und das Verhältnis zwischen Publikum und Künstler, zwischen Musikern und Laien ausloten und nahezu zeitgleich an verschiedenen europäischen Orten wie in Amsterdam (Muziekgebouw Amsterdam) und Porto (Casa da Musica) getestet werden.
Große Spannung und prickelnde Erwartungshaltung
herrschen im großen Saal des Frankfurt LAB. Das Licht wird gedimmt. Eine Trommel
wird auf die Bühne gerollt. Rainer Römer, der Percussionist des Ensemble Modern, wirft einen
kleinen Steiftier-Bär zu einer Frau ins Publikum und bittet sie stumm, aber mit
gekonnt eleganten Bewegungen auf die Bühne, beginnt zunächst einen Dialog mit
Quitscheentchen, der dann auf der Trommel fortgeführt wird. Witzig, animierend.
Ein gelungener Einstieg in die Uraufführung von Oscar Bianchis Orango für
Ensemble und Publikum, ein 35-minütiges Klang und Geräuscherlebnis mit
vierzehn Instrumentalisten, etwa zwanzig Laienteilnehmern und dem höchst
motivierten Publikum. Wechsel von Urlauten, Brustklopfen, Rufen, Singsang, ein
Ha-Ha und Ho-Ho, Klirren, Zischen und Schmatzen. Dazu Pfeifen auf Kopfstücken
von Blockflöten, Surren von kleinen Hausteufelchen, Brummen mit Gummi Lollypops
auf Holz und Bespannung. Alltagsgegenstände als Musik und Klangerzeuger. Abwechslungsreich
mit Aufforderungscharakter.
Perfekt die Animation des musikalischen Leiters, Jonathan Stockhammer, der aus dem
scheinbar chaotischen kollektiven Spiel ein spannungsgeladenes Miteinander und
Gegeneinander erzeugte, das allen im Saal größten Spaß bereitete. Connect als lebendige Erfahrung zwischen
Publikum und Musikern, zwischen Professionalität und Spontaneität, zwischen Künstler
und Laien.
Game-Show mit Anti Sex Spray (ASS)
Mit der TV-Show The
Gender Agenda für Spielshow-Moderator,
Sprechchor und Publikum (Deutsche Erstaufführung) versuchte Philip Venables, im Stile einer Talk- und Musikshow, einen
publikumsgefälligen Beitrag zu diesem Projekt zu leisten. Weitestgehend in
Workshops vorbereitet führte die leicht übermotivierte Gayle Tufts durch das fast einstündige brisante Stück zum Thema
Gender, Sex und Geschlecht. Sechs SpielerInnen und ein Punktezähler aus dem Publikum
waren der einzige Connect, das
angestrebte Mitmachen reduzierte sich eher auf sein Minimum. Bereits das Werfen
von blauen und pinken Plüschkätzchen ins Publikum als Teilnahme-Animation erwies
sich als endloser Akt. Keiner wollte sich so recht auf das Spiel einlassen. Gayle
Tufts wiederum riss sich die Arme aus, geriet zur Alleinunterhalterin bis zur
peinlichen Grenze. Dazwischen Musik aus der amerikanischen Musical- und Jazz-Retorte
mit Tschaikowski (b-Moll Klavierkonzert) und Beethoven (5. Sinfonie) Einsprengseln,
immer aber leicht und flockig. Was halteben von einer Show erwartet wird.
Ein politisches Thema mit News Flasher auf Video eingeblendet ("326 Morde weltweit im Jahre 2017 an Gender
People", oder Werbung für "Anti Sex Spray, ASS"), Game-Malereien („Gender Render“)
von den Teilnehmern, Verkleidungen (natürlich Gender-Figuren – was immer das auch
ist), Slut-Shaming (etwa: Schlampen-Scham),
Penalty Box (Männer sind Jäger,
Frauen natürlich Sammler), Herrklärungen (statt Erklärungen), viel Gender-Fluid und Toxic-Masculinity.
Ein chaotisches Spiel, eine mitunter ratlose
Moderatorin (sie konnte einem leidtun), sehr bemühte Teilnehmer, ein Chor, der
alles gab und ein Ensemble Modern, das auch die Revue- und Swingmusik
beherrschte. Sehr platt das Final-Thought
(gesprochen von der Moderatorin): „Wir alle sind Teamplayer“, „Fairplay“
und „Passt auf euch auf!“ begleitet von Streichmusik im Stile eines traurigen Abgesangs.
Persiflage oder nicht. Das Stück ist alles andere
als ein Beitrag zum Projekt Connect.
Hier wurde das Publikum zur Staffage einer Show, zum Verbrauch eines profitlichen
Genres, zum Konsumenten eines Markenartikels, wozu sich die Gender Problematik
wohl kaum eignete. Viel politisch Brisantes überschritt hier eher die Schamschwelle und nicht Wenige im Publikum fühlten sich verhohnepipelt.
Kann das Publikum Künstler sein? Nein, es kann
nicht. Aber es kann in den künstlerischen Prozess einbezogen werden, was im
ersten Stück, Orango von Oscar
Bianchi glänzend, im zweiten The Gender
Agenda von Philip Venables eher gar nicht, oder lediglich in seiner Negation
funktionierte.
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