Heimat/Fremde:
Musik-Theater-Labor mit der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA),
Foyer des Staatstheaters Wiesbaden, 15.04.2018
Viel Physik und Farbenlehre in der Neuesten Musik
Das Musik Labor: Heimat/Fremde ist Teil eines Projekts der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA) mit jungen, aufstrebenden Komponisten weltweit. Die vierte Folge dieser Art war im Foyer des Staatstheaters Wiesbaden mit zwei Uraufführungen der japanischen Jungkomponisten, Mukai Wataru (*1993) und Koji Fukumaru (*1997) sowie einer deutschen Erstaufführung des Koreaners Yongbom Lee (*1987) zu erleben. Außerdem zeigte das zwölfköpfige Ensemble sein bemerkenswert hohes Ausbildungsniveau, wozu auch das abschließende Quatuor pour la fin du Temps (1941) von Olivier Messiaen (1908-1992) gehörte.
Das Ensemblewerk Psi
von Mukai Wataru ist im Titel dem
griechischen Alphabet entlehnt. Der Buchstabe Psi steht für die Welt der Atome
und Elementarteilchen, ist aber auch mit unterschiedlichsten Bedeutungen aus
der Parapsychologie und der Geisteswissenschaften behaftet. Dieses kaum acht-minütige
Ensemblestück für zwei Soloviolinen und großem Perkussionsapparat versetzte die
Zuhörer in eine Mystery-Welt des Mikrokosmos. Heftigste Stöße wechselten mit mystisch
anmutendem Flageolett. Melodische Motive kontrastierten mit aggressiven
Ganztonreihen. Den äußerst expressiven Mittelteil beherrschten chromatische
Sequenzen, wobei Klavier und Schlagwerk dominierten. Jeder der Plots bildete
eine Welt für sich und öffnete sukzessive das Fenster zum Makrokosmos. Wataru, der
zurzeit den Masterstudiengang an der Staatlichen Hochschule für Musik und
Darstellende Kunst in Mannheim belegt, ist mit Psi eine spannende und farbenreiche Komposition gelungen.
Der gerade einmal 20-jährige Koji Fukumaru, für die Uraufführung seiner Komposition Ecton extra aus Japan angereist, hat den
Titel seines Werkes der technischen Physik entnommen. Ectonen sind kleinste Mikroexplosionen,
setzen Atome, Ionen, Cluster und Elektronen frei und hinterlassen Kraterlandschaften.
Ganz so bei diesem Stück. Nebulöse Harmonik dehnte sich über Glissandi und
orchestrale Wucht im Ensemble Tutti aus, um wieder in seine Einzelteile zu zerfallen.
Lange Tremoli erzeugten ein flirrendes Durcheinander, alles wirkte zerbrechlich,
labil und schien jeden Moment zu zerbersten. Ein Crescendo bis zum Fortissimo
wurde durch einen explosiven Knall beendet. Ein starkes Stück von einem starken
Ensemble, höchst eindrucksvoll in lebendige Musik umgesetzt.
Dessin
d´encre (2014/17), ein Quintett für Violine, Violoncello,
Querflöte, Klarinette und Klavier, ist eine rhapsodische Skizze, farbenreich
und einer modernen Malerei vergleichbar. Der Koreaner Yongbom
Lee hat unter anderem bei Johannes Maria Staud, Wolfgang Rihm,
Isabel Mundry und Marco Stroppa gelernt, und im Jahre 2008 die Internationalen
Ferienkurse in Darmstadt besucht. Seine Musik ist von diesen Einflüssen getragen
und doch auch mit der Tradition seiner Heimat verwoben. Mal pointillistisch,
mal kubistisch, mal schwarz weiß, mal pastös, immer ist es ein Spiel mit Farben
und Stilen. Eindrucksvoll die solistischen Einlagen von Violoncello und Klavier
mit seriellen Techniken und sprunghafter Gestik. Ein reife Komposition von
einem perfekt harmonierenden Quintett mit Lola Rubio (Violine), Kyubin Hwang
(Violoncello), Katrin Szamatulski (Flöte), Moritz Schneidewendt (Klarinette)
und Vitaly Kyianytsia (Klavier) auf die Bühne gebracht.
Ein liturgisches Oratorium für Quartett
Olivier
Messiaens berühmtes Quartett über das Ende der Zeit, Quatuor pour la fin du Temps, entstand
während seiner Kriegsgefangenschaft in Görlitz. Es war eigentlich als "Nachecho" auf die drei vorangegangenen Werke gedacht (Ernst August Klötzke in seiner Eröffnungsrede), sollte aber zu einem ganz
autonomen, unvergleichlichen Opus avancieren.
Es beschreibt die tiefe, verzweifelte Auseinandersetzung
mit der biblischen Offenbarung des
Johannes (Kapitel 10, Vers 1-7). In acht Sätzen (Messiaen wählte die acht,
weil die sieben die vollkommene und die sechs, die Schöpfung von Himmel und
Erde, geheiligt war) beschreibt Messiaen das Ende der Zeiten mit der Apotheose
Jesu´, die Lobpreisung seiner Unsterblichkeit im Schlusssatz. Ein fünfzig-minütiges liturgisches Drama für ungewöhnliche Besetzung (Violine, Violoncello,
Klarinette und Klavier), den damaligen Lagerbedingungen geschuldet, und nur in
vier Sätzen für alle Instrumente geschrieben. Vogelstimmen, apokalyptische Vokalisen,
scherzhafte Einsprengsel mit gregorianischer Melodik, modale Tonstrukturen, rhythmische
Ekstasen mit extremen Höhen und Tiefen, der Wahnsinn pur, wenn die Trompeten der
Apokalypse erschallen, lange Tremoli-Passagen mit fließendem Farbenspiel aus
vulkanischer Urgrund und hinreißend schönen aber verstörenden Soli von
Klarinette, Violoncello, Klavier und Violine: All das macht das Werk zu einem
Oratorium für vier Instrumentalsolisten.
Bei der Uraufführung am 15. Januar 1941 vor etwa
vierhundert Kriegsgefangenen, wobei Messiaen selbst den äußerst schwierigen Klavierpart
übernahm, soll es mucksmäuschenstill gewesen sein, viele der Gefangenen seien
in Tränen ausgebrochen. Noch heute geht das Werk an die geistige und emotionale Substanz.
Das Quartett des IEMA tat sein Übriges: Unglaubliche Hingabe, hinreißendes Zusammenspiel
und ausgesprochen reife Auseinandersetzung mit dem Werk eines Komponisten, das Musikgeschichte
gemacht hat und heute noch aktuell ist.
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